Naturdokumentation „Endlich(e) Vielfalt“

Bergwiesen bei Stützengrün, Foto: Matthias Scheffler

„Ausnahmezustand“ zur Filmpremiere im UNION Filmtheater in Schneeberg

Man musste schon rechtzeitig kommen, wenn man im UNION Filmtheater in Schneeberg noch einen Platz ergattern wollte zu einer Veranstaltung der etwas besonderen Art, der Filmpremiere zum Teil 1 „Offenland“ der Naturdokumentation „Endlich(e) Vielfalt – Biologische Vielfalt am Beispiel des Westerzgebirges“. Einige mussten sogar unverrichteter Dinge und voller Verzweiflung wieder die Heimreise antreten. Die Veranstalter vom NABU staunten also nicht schlecht über den für eine Naturschutzveranstaltung ungewöhnlichen Besucherandrang, der wohl eher an frühere Punktspiele von Erzgebirge Aue erinnerte. Aber auch für die Kinobetreiber war ein voll besetztes Kino sozusagen eine Premiere.

Der Film wurde vom NABU Aue-Schwarzenberg e.V. beim Naturfilmer Andreas Winkler aus Limbach-Oberfrohna in Auftrag gegeben und beschäftigt sich mit dem Zustand von Natur und Landschaft in der hiesigen Gegend. Vor etwa fünf Jahren waren die ersten Pläne zu diesem Film geschmiedet worden, der neben wunderbaren Naturaufnahmen vom Naturreichtum des sächsischen und böhmischen Westerzgebirges auch die  Probleme in der Landnutzung aufzeigen soll, die auch in dieser noch vergleichsweise intakten Region schon zu schmerzlichen Verlusten in der Tier- und Pflanzenwelt geführt haben. Und das nicht zu knapp. Ein Film sozusagen als eine Art emotionale Brücke, um möglichst vielen Menschen die Welt unserer tierischen und pflanzlichen Mitbewohner und deren Verletzlichkeit buchstäblich vor Augen zu führen und ans Herz zu legen, die Zuschauer mit deren Schicksal, das wesentlich von uns Menschen abhängt, näher vertraut zu machen.

Und in den fünf Jahren, die seither vergangen sind, hat sich weiter vieles verändert, vieles ereignet, mit dem wohl kaum einer gerechnet hätte. Und das alles eher wenig zum Positiven hin. Heiße, trockene Jahre, Corona und ein Krieg fast vor der Haustür stürzen uns förmlich von einer Krise in die nächste und es deutet sich leider auch an, dass durch die daraus resultierenden Maßnahmen und Entwicklungen die Talfahrt der biologischen Vielfalt noch weiter beschleunigt werden wird, auch bei uns vor der Haustür. Einige der sich abzeichnenden Problemfelder, wie beispielsweise der verschärfte Konflikt zwischen Energiewende und Natur- und Artenschutz, konnte in den ersten Teil der Dokumentation nicht mehr einfließen und muss auf die kommenden Teile vertragt werden. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Zwei weitere Teile – zum Siedlungsraum und zu Wäldern, Mooren und Gewässern – sind in Arbeit und werden voraussichtlich in den Jahren 2023 bzw. 2024 fertiggestellt sein. Jetzt soll es erst einmal darum gehen, dass diesen Film über unsere Offenlandschaften möglichst viele Leute und auch möglichst viele junge Leute zu sehen bekommen. Später ist auch eine Veröffentlichung des Filmes auf DVD geplant, zusammen mit einer DVD mit einigen der Interviews, die ja im Film sehr gekürzt werden mussten.

Der Film, der mit seinen zwei Stunden Laufzeit erheblich länger geworden ist als ursprünglich geplant, enthält eine Fülle von Informationen darüber, was auf unseren Wiesen, Weiden und Äckern so vor sich geht. Viele bundesweit bekannte Experten wie der Zoologe Josef Reichholf, der Ornithologe Peter Berthold, der Hirnforscher Gerald Hüther und der Schriftsteller Wulf Kirsten kommen zu Wort, um bei der Einordnung der Bilder und bei der Analyse der Konfliktfelder zwischen Landnutzung und Erhalt von Natur und Landschaft behilflich zu sein. Einige der Arten, die in beeindruckenden Bildern im Film vorgestellt werden, sind in natura in der Region schon ausgestorben, wie beispielsweise das Rebhuhn und der Kiebitz. Weitgehend unbemerkt sind sie aus unserer Landschaft verschwunden. Ein wahres Trauerspiel, das weitgehend unbemerkt und ohne Aufsehen über die Bühne ging und kaum jemand zur Kenntnis nahm. Andere Arten wie das Birkhuhn oder die Wiesenbrüter Braunkehlchen und Wiesenpieperd kämpfen in letzten spärlichen Vorkommen derzeit ums Überleben und wie das ausgeht, das steht in den Sternen. Zur Kenntnis genommen wird dies – mit Ausnahme des Birkhuhns – wiederum kaum. Manche Dinge ändern sich nie oder viel zu langsam. Die Ursachen für diese Artenverluste, die im Grunde nur die Spitze des Eisbergs sind, sind oft sehr komplex. Aber fast immer lässt sich eine viel zu intensive Landnutzung und ein damit einhergehender Verlust an geeigneten Lebens- und Nahrungsräumen als eine der Hauptursachen festmachen. Klar und deutlich stellt der Film dar, dass unsere Landschaften und sogar die Schutzgebiete fast flächendecken überdüngt und mit Pestiziden überfrachtet sind und interessanterweise werden auch die historischen und aktuellen Hintergründe dieser Entwicklung detailliert aufgezeigt. Dabei soll durchaus nicht den Landwirten der alleinige Schwarze Peter zugeschoben werden. Sie müssen, wie Betriebe in anderen Branchen auch, von ihrer Arbeit leben und überleben, sind dabei von den jeweiligen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stark abhängig und auf die zur Verfügung stehenden Förderinstrumenten angewiesen. Und so gehen Artensterben und Bauernsterben auch geradezu einträchtig und folgerichtig nebeneinander her. Leider hört man von nur wenigen Landwirten und von ihren Interessenvertretern schon gar nicht, dass sie eine Wende hin zu extensiveren, naturverträglicheren Formen der Landnutzung anmahnen, einfordern und unterstützen. Oft hat man eher den gegenteiligen Eindruck. Wachsen oder weichen und möglichst intensiv wirtschaften scheint weiter die favorisierte Devise zu sein. Wenn allerdings die Böden und die Ökosysteme der Agrarlandschaften erst einmal völlig ruiniert sind, wie das in einigen Regionen der Welt schon der Fall ist, dann funktioniert auch keine Nahrungsmittelproduktion mehr und das für lange Zeit. Der Naturschutz bleibt leider für viele Landwirte weiterhin eher ein Rotes Tuch. Schade eigentlich, denn eines zeigt der Film klar und deutlich, nämlich dass ohne einen grundsätzlichen Wandel in unserer Landnutzung die Talfahrt der biologischen Vielfalt nicht aufzuhalten sein wird, mit kaum absehbaren Folgen auch für uns Menschen. Die positiven Beispiele, die aus Landwirtschaft und Naturschutz im Rahmen des Filmes gezeigt werden, machen deutlich, dass dies durchaus keine Himmelsschlösser sind und kein Ding der Unmöglichkeit. Man muss es allerdings in einem möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens auch wollen. Und danach sieht es leider derzeit (noch?) nicht aus. Auch der interessante Blick über die Grenze ins böhmische Erzgebirge erinnert daran, dass es auch anders geht. Die extensivere Flächenbewirtschaftung und das Fehlen – ich bitte den drastischen Ausdruck zu entschuldigen – des deutschen „Ordnungswahns“ in den Dörfern schlagen sich sofort sichtbar in einer erheblich reicheren Tier- und Pflanzenwelt nieder. Als Naturfreund fühlt man sich förmlich wie in einer anderen Welt oder wie im Märchen oder im Garten Eden. Schön für uns, dass wir eine solche Vergleichsmöglichkeit in unmittelbarer Nähe haben und nicht einmal weite Reisen machen oder auf unser Ableben warten müssen, um zumindest einen gewissen Vorgeschmack vom „Paradies“ zu bekommen.

Aber auch während der Filmpremiere fühlte man sich an einigen Stellen wie im Paradies. An anderen Stellen allerdings auch wie in der Hölle, dabei wurde nur die bittere Realität in Teilen unserer Agrarlandschaften gezeigt, in denen sich die tierischen und pflanzlichen Bewohner unserer Feldflur durchschlagen müssen. Und nicht wenige Besucher konnten in diesem Wechselbad der Gefühle die Tränen nicht zurückhalten oder wollten das auch nicht. Kann man einem Filmemacher ein schöneres und passenderes Kompliment machen?